Interview mit Barbara Hoffmann und Konrad Gorcks

Mitarbeiterrekrutierung und -Bindung

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die Grundlage für den Erfolg im Unternehmen. Führung und eine bewusste Auswahl von neuen Kolleginnen und Kollegen sind der Schlüssel um die Herausforderung des Marktes zu meistern.

Wie sehen Sie die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt?

Barbara Hoffmann: Bei der Suche nach neuen Mitarbeitern erscheint uns der Markt wie leergefegt. Es mag durchaus regionale Unterschiede in Deutschland geben aber die Suche ist überall alles andere als ein Selbstläufer. Oftmals fragen wir uns, an was es wohl liegen mag, dass sich die Suche nach den passenden Mitarbeitern so herausfordernd, wenn nicht sogar erfolglos gestaltet. Hierauf gibt es viele Antworten, angefangen mit der Aussage, dass der Berufsstand nicht ausreichend ausbildet und ausgebildet hat, die Ausbildung an Hochschulen zu wenig praxisorientiert ist, die potentiellen Mitarbeiter sich für andere Berufsfelder interessieren oder aber die großen Prüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften mit einem perfekten Recruiting, das bereits in den Schulen und an den Hochschulen beginnt, sich ihre Wunschkandidaten aussuchen und die kleinen Praxen das Nachsehen haben. Ich bin der Meinung, dass sich auch die kleinen Kanzleien in einem schwierigen Umfeld bei der Arbeitssuche behaupten können. Dazu müssen kleine Kanzleien bereit sein, sich zukunftssicher aufzustellen, damit es ihnen gelingt, Mitarbeiter zu gewinnen und diese für ihr Unternehmen zu begeistern. Kleine Kanzleien sind agiler und sehr viel flexibler. Man muss die Vorteile für Bewerber platzieren und sichtbar machen.

Wie sieht hierbei die strategische Ausrichtung aus?

Konrad Gorcks: Märkte verändern sich disruptiv, Zusammenarbeit wird komplexer und die Aufgaben einer Führungskraft erfordern immer mehr Innovation und Verständnis für neue Wege. Für Unternehmen und Menschen in anspruchsvollen Positionen und komplexen Systemen, die heute die Anforderungen im Arbeitsleben zu meistern haben, sind eine systemische Betrachtung und eine bewusste Ausrichtung grundlegend. Um die zukünftigen Herausforderungen meistern zu können, stellt sich die Frage, sind meine bestehenden Methoden und Ziele für eine strategische Ausrichtung noch passend? Muss ich meine Vorgehensweise und Maßnahmen neu definieren und vereinfachen? Wenn Sie sich diese Fragen beantwortet haben und in die Umsetzung gehen, muss es gelebt werden, unabhängig von Hierarchie und Aufgabe. Die strategische Ausrichtung ist ein zyklischer Prozess und kein sporadisches Projekt. Mit dieser Sicht- und Vorgehensweise können Sie auf sich verändernde Anforderungen reagieren und strategische Chancen erfolgreich nutzen.


Wo stehen kleinere Kanzleien heute und wie können sie zukunftssicher werden?

Barbara Hoffmann: Ich habe in meinem Berufsleben die Erfahrung gemacht, dass Kollegen und Kolleginnen in kleinen Strukturen glauben, ohne Organisationsmodelle und Unternehmenskultur auszukommen. Das sieht oft so aus, dass der Praxisinhaber/ die Praxisinhaberin in Arbeit erstickt, Mitarbeiter ohne klare Profilanforderungen angestellt werden, ohne den Bedarf im Unternehmen ausreichend zu berücksichtigen und das Know-how des Mitarbeiters optimal einzusetzen. Hinzu kommt meistens, dass sich die Mitarbeiter untereinander nicht ausreichend austauschen und nur eine Zuarbeit für den Praxisinhaber/ die Praxisinhaberin erfolgt. Eigenverantwortliches Arbeiten der Mitarbeiter als Instrument zur Qualitätsverbesserung und zur Motivation des Mitarbeiters wird nicht gezielt umgesetzt. Diese Kanzleien werden mit ihrem eher hierarchischen Aufbau auf dem umkämpften Arbeitsmarkt nicht punkten können. Für potentielle Mitarbeiter, die klare Vorstellungen an ihren zukünftigen Arbeitsplatz haben, wird diese Organisationsstruktur nicht auf Interesse stoßen.

Eine Kanzlei, die sich zukünftig am Arbeitsmarkt behaupten und mit ihren Mitarbeitern mittel- bzw. langfristig erfolgreich zusammenarbeiten möchte, wird sich mit einer neuen Organisationsstruktur und einem teamorientierten Führungsstil auseinandersetzen müssen. Die Organisation ist auf einen Teamansatz ausgerichtet, in der der Praxisinhaber/ die Praxisinhaberin eine Leitungsfunktion einnimmt und die Kultur des Unternehmens lebt. Die Mitarbeiter bilden ein Team mit einem Teamleiter/ einer Teamleiterin. Dabei werden die Mitarbeiter entsprechend ihrer Qualifikation weitestgehend eigenverantwortlich eingesetzt. Es wird eine ausgeprägte Kommunikation untereinander sichergestellt. Im besten Fall arbeitet das Team zielorientiert, effizient in einem guten Klima mit viel Arbeitsfreude zusammen.

Wie verwirklichen Sie Ihre Ziele in Ihrer Kanzlei?

Barbara Hoffmann: Ich habe in meiner Kanzlei zunächst einen kooperativen Führungsstil gelebt und setze heute den teamorientierten Führungsstil um. Bei der Mitarbeitergewinnung kann ich hiermit meine Erfolgsaussichten verbessern. Bei der Mitarbeiterbindung ohnehin. Zur Akquise von Mitarbeitern wende ich mich an Schulen und Hochschulen. Ich nehme an Informationstagen der Schulen und Hochschulen teil, präsentiere dort meine Kanzlei und halte einen kurzen Vortrag, wenn ich dazu die Möglichkeit bekomme, in dem ich die Attraktivität unseres Berufes und die Vorteile von kleinen, mittelständischen Kanzleien darstelle. Darüber hinaus habe ich ein Praktikanteneinbindungsprogramm für unsere Kanzlei entwickelt, das den Praktikanten einen umfassenden Einblick in unseren Beruf ermöglicht.

Ich glaube, dass mittelständische Strukturen mit diesem Führungsstil ihren klaren Wettbewerbsvorteil befördern können. Mittelständische Kanzleien haben keine Spezialabteilungen und können ihren Mitarbeitern vielfältige Aufgabenbereiche bieten. Im Team werden sich je nach Qualifikation und Fähigkeiten der Teammitglieder Experten herauskristallisieren. Diese Experten werden aufgrund der in der Regel vielfältigen Mandantenstruktur in mittelständischen Kanzleien weitere Aufgaben neben ihren Spezialgebieten übernehmen. Ziel einer Kanzlei sollte es sein, zu agieren anstatt zu reagieren. Diese aktive Ausrichtung einer Kanzlei kann in einem Team am besten verwirklicht werden. Um in unserer Kanzlei diese Transformation bewältigen zu können, haben wir uns bei Bedarf von professionellen Personalberatern unterstützen lassen.


Ist der teamorientierte Führungsstil ein Erfolgsmodell für den Mittelstand?

Barbara Hoffmann: Ich glaube schon. Er führt zu Mitarbeiterentwicklung, Zufriedenheit und Effizienz. Dieser Führungsstil kann eine Antwort auf die Bedürfnisse in der zukünftigen Arbeitswelt sein.

Konrad Gorcks: Der teamorientierte Führungsstil ermöglicht eine eigenverantwortliche Bewusstseinsentwicklung der Mitarbeiter, bei der die Führungskraft agil für den Rahmen sorgt. So kann das Unternehmen sich gezielt weiterentwickeln und auf die Anforderungen des Marktes reagieren und agieren.

Welche Aufgabe kommt für Sie dabei den Führungskräften zu?

Barbara Hoffmann: Wie oben bereits ausgeführt, sollten die Führungskräfte das Team lenken, die Unternehmenskultur vorgeben, die Unternehmensentwicklung steuern und Anpassungsbedarf im Team erkennen und umsetzen. Die Bedeutung der Kommunikation im Team, die durch Zeitdruck ständig gefährdet ist, muss durch die Führungskraft immer wieder in den Vordergrund gerückt werden.

Konrad Gorcks: Führungskräften kommt im Unternehmen eine besonders wichtige Rolle zu. Passt die Persönlichkeit und die Aufgabe optimal zusammen, geht es voran, Ziele werden erreicht, das System funktioniert. Eine Führungskraft erbringt aber nur dann die beste Leistung, wenn sie Aufgaben übernimmt und bekommt, die ihr tatsächlich entsprechen. Ziel ist eine praxisorientierte Entwicklung der Passung von Persönlichkeit und vorgesehener Aufgabe im Unternehmen.

Der Mehrwert dabei ist, dass Führungskräfte und Mitarbeiter sich ihrer Motive bewusster werden und so gezielter handeln und entscheiden können. Dies hat vielfache Auswirkungen: Sie erfüllen ihre Aufgaben deutlich erfolgreicher, Reibungsverluste im Arbeitsprozess reduzieren sich, die Kräfte werden auf das Wesentliche ausgerichtet. Daneben erleben Mitarbeiter klare und bewusste Führungskräfte in der Regel als authentischer und somit passender für ihre Aufgabe.

Wie kann man gezielt Mitarbeiterpotentiale erkennen und fördern?

Konrad Gorcks: Um Mitarbeiterpotentiale zu erkennen, die optimal zu ihrem Unternehmen und der jeweiligen Aufgabe passen, ist eine Klärung im Zuge einer persönlichen Analyse, wie individuelle Motivstrukturen, das Denken, die Wahrnehmung und das Handeln eines Kandidaten beeinflussen, grundlegend. Mithilfe eines Soll-Profils gleichen Sie dann die Ergebnisse ab und kommen im Rahmen eines Auswertungsgespräches zur Passform. Um die Mitarbeiterpotentiale zu fördern, setzen Sie an den individuellen Talenten, Motiven und Kompetenzen an. Ziel ist eine praxisorientierte Entwicklung der Passung von Persönlichkeit und vorgesehener Aufgabe im Unternehmen, aktuell und für die Zukunft.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Barbara Hoffmann: Bereits beim Vorstellungsgespräch sollte ein klares agiles Ziel festgelegt werden. Bezüglich der Aufgabenstellung inklusive Rahmen und Entwicklungsmöglichkeit der potentiellen Mitarbeiter sollten klare Vorgaben bestehen. Mitarbeitergespräche, möglichst nicht mit einer standardisierten Checkliste, sondern ausgerichtet auf die aktuellen Bedürfnisse von Mitarbeitern halte ich für wichtig. Dabei sollte ein Rahmen für personenspezifische Entwicklungsmöglichkeiten, der im Einklang mit der gelebten Unternehmenskultur steht, zur Anwendung kommen.

Welche Chancen ergeben sich durch die Digitalisierung?

Barbara Hoffmann: Dass wir hier die Möglichkeit haben, Prozesse, Arbeitsabläufe und Strukturen auf den Prüfstand zu stellen, um gemeinsam mit den Mitarbeitern eine effizientere Version unserer Arbeit für die Zukunft gestalten und leben zu können.

(Quelle: IDW Life Magazin Oktober 2020)

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